Inter­view mit SNS-Geschäfts­füh­re­rin Elke Schmidt zu Sta­tus und Zukunft des saarVV

„VIELE HERAUSFORDERUNGEN VERDEUTLICHEN DIE WICHTIGKEIT EINES FUNKTIONIERENDEN, ZUKUNFTSORIENTIERTEN ÖPNV FÜR DIE GESELLSCHAFT.“

Frau Schmidt, COVID-19-Pan­de­mie, Ukrai­ne-Krieg, hohe Ener­gie­prei­se und Kli­ma­kri­se
– der saarVV steht vor gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen. Wie schät­zen sie die Situa­ti­on für den
ÖPNV im Saar­land ein?

Elke Schmidt: Der ÖPNV und damit der saarVV spielt eine ent­schei­den­de Rol­le bei der Lösung anste­hen­der ver­kehr­li­cher, öko­lo­gi­scher und gesell­schaft­li­cher Her­aus­for­de­run­gen. Die Ver­kehrs­un­ter­neh­men im saarVV beför­dern Mil­lio­nen von Fahr­gä­sten mit Bus und Bahn und erspa­ren damit vie­le Auto­fahr­ten. Das ermög­licht eine bes­se­re Qua­li­tät und Nutz­bar­keit des öffent­li­chen Raums für die Men­schen und ist ein ent­schei­den­der Fak­tor der Mobi­li­täts­wen­de. Bus­se und Bah­nen tra­gen in der Gesell­schaft zur Mobi­li­täts­ver­sor­gung, zur Ver­bes­se­rung der Ver­kehrs­strö­me und der all­ge­mei­nen Lebens­qua­li­tät bei. Jedes Jahr spa­ren Bus­se und Bah­nen in Deutsch­land 15 Mil­lio­nen Ton­nen Koh­len­di­oxid ein. Der ÖPNV und jeder ein­zel­ne Fahr­gast lei­stet so einen wesent­li­chen Bei­trag zur Errei­chung der Kli­ma­schutz­zie­le. Dar­über hin­aus hat der öffent­li­che Ver­kehr einen wirt­schaft­li­chen Nut­zen, in Form von Wertschöpfungs‑, Beschäf­ti­gungs- und Ein­kom­mens­fak­to­ren. Durch die Coro­na-Pan­de­mie, den Ukrai­ne-Krieg und die sich ver­schär­fen­de Kli­ma­kri­se ändert sich nichts an den Wer­ten und Visio­nen des saarVV. Im Gegen­teil: Die­se Her­aus­for­de­run­gen ver­deut­li­chen die Wich­tig­keit eines funk­tio­nie­ren­den, zukunfts­ori­en­tier­ten ÖPNV für die Gesell­schaft. Obwohl die Coro­na-Pan­de­mie zu teil­wei­se dra­ma­ti­schen Nach­fra­ge­ein­brü­chen im öffent­li­chen Ver­kehr geführt hat, muss die Mobi­li­täts­wen­de wei­ter gedacht wer­den. Trotz ihrer viel­fäl­ti­gen nega­ti­ven Fol­gen hat sie auch Inno­va­tio­nen her­vor­ge­bracht – etwa bei der Digi­ta­li­sie­rung und der Bereit­schaft bei den Fahr­gä­sten, digi­ta­le Ange­bo­te anzu­neh­men. Wir muss­ten mit gro­ßer Bestür­zung den Angriff Russ­lands auf die Ukrai­ne mit­ver­fol­gen. Die­ser Angriff beein­träch­tigt unse­re Frie­dens­ord­nung und mit ihr gesell­schaft­li­che Wer­te, wie Frei­heit, Viel­falt und Demo­kra­tie. Um kurz­fri­stig den Geflüch­te­ten aus der Ukrai­ne zu hel­fen, ermög­lich­ten wir es ihnen, den ÖPNV kosten­los zu nut­zen. Als eine Fol­ge des Kriegs haben sich die Ener­gie- und Ben­zin­prei­se deut­lich erhöht. Zur Unter­stüt­zung der deut­schen Bevöl­ke­rung initi­ier­te die Bun­des­re­gie­rung meh­re­re Hilfs­pro­gram­me. Dazu gehört auch das 9 Euro-Ticket im ÖPNV im Som­mer 2022. Wir unter­stüt­zen die Idee, die ÖPNV-Pend­ler bei ihren Mobi­li­täts­ko­sten tem­po­rär zu ent­la­sten. Es ist ein kla­res Signal für den öffent­li­chen Nah­ver­kehr als lei­stungs­fä­hi­ge und kosten­gün­sti­ge Alter­na­ti­ve zum Pkw. Und es ist ein Bau­stein für die Ver­kehrs­wen­de. Wir möch­ten und wir müs­sen im ÖPNV Neu­kun­den gewin­nen und unse­re Bestands­kun­den hal­ten. Aber zur Stei­ge­rung der Attrak­ti­vi­tät des öffent­li­chen Nach­ver­kehrs muss dane­ben das Ange­bot aus­ge­baut wer­den. Hier müs­sen die Auf­ga­ben­trä­ger, das Land und der Bund wei­ter inve­stie­ren. Um die Kli­ma­zie­le zu errei­chen, sind und blei­ben Anstren­gun­gen auf allen Ebe­nen not­wen­dig. Der ÖPNV bleibt bei der Mobi­li­täts­wen­de ein ent­schei­den­der Akteur, denn er ist ein wesent­li­cher Teil der Lösung für kli­ma­freund­li­chen Ver­kehr.

Im Juli 2021 star­te­te die Tarif­re­form im saarVV. Wie ist Ihr Zwi­schen­fa­zit?

Elke Schmidt: Bus- und Bahn­fah­ren im Saar­land ist seit dem 1. Juli 2021 deut­lich günstiger und ein­fa­cher. Die größ­te Tarif­re­form seit Gründung des saarVV hat den ÖPNV im Saar­land für poten­ti­el­le Fahr­gä­ste attrak­ti­ver gemacht. Das bewei­sen erste Beför­de­rungs- und Ver­kaufs­zah­len, wenn sie auch durch die Fol­gen von Covid-19 und die zwi­schen­zeit­li­che Eta­blie­rung des 9 Euro-Tickets nur zum Teil aus­sa­ge­kräf­tig sind. Sicher ist aber, dass sowohl Stamm­kun­den, Gele­gen­heits­kun­den als auch Neu­kun­den von der Tarif­re­form pro­fi­tie­ren. Wei­te­re Tarif­an­ge­bo­te – wie das Deutsch­land­ticket für 49 Euro – müssen von Sei­ten der Poli­tik sehr genau finan­zi­ell bewer­tet wer­den. Die­se Gel­der müssten zusätz­lich aus Steu­er­mit­teln kom­pen­siert wer­den. Dem­entspre­chend wäre die finan­zi­el­le Bela­stung für öffent­li­che Kas­sen bei einem kosten­lo­sen ÖPNV noch mas­si­ver. Denn die Ein­nah­men durch Fahr­schein­ver­käu­fe müssten dann kom­plett über den Steu­er­zah­ler ein­ge­bracht wer­den. Deutsch­land­weit han­delt es sich dabei um rund 13 Mil­li­ar­den Euro an Ticket­ein­nah­men. Hin­zu kämen wei­te­re Pro­ble­me wie überlastete Ver­kehrs­net­ze, die wie­der­um hohe Inve­sti­tio­nen in Sanie­rung und Aus­bau des ÖPNV mit sich brin­gen würden. Schon auf Basis der aktu­el­len „Kri­sen­si­tua­tio­nen“ ist die ÖPNV-Bran­che gezwun­gen, auf eine Siche­rung der Finan­zie­rungs­zu­sa­gen hin­zu­wei­sen. Neben dem voll­stän­di­gen Aus­gleich für die Ein­nah­me­ver­lu­ste durch das 9 Euro-Ticket sind vor allem die Erhö­hung der Regio­na­li­sie­rungs­mit­tel und ein Aus­gleich für die dra­stisch gestie­ge­nen Ener­gie­ko­sten not­wen­dig, um die Wirt­schaft­lich­keit der Ver­kehrs­un­ter­neh­men nicht nach­hal­tig zu gefähr­den.

Die Digi­ta­li­sie­rung ist ein wich­ti­ger Fak­tor zur Siche­rung der Stel­lung des ÖPNV. Wel­che digi­ta­len Maß­nah­men setzt der saarVV jetzt und in Zukunft um?

Elke Schmidt: Die Digi­ta­li­sie­rung des ÖPNV bie­tet neue Chan­cen, auch für den saarVV. Wir stel­len unse­ren Fahr­gä­sten digi­ta­le Ange­bo­te für die Ser­vice­be­rei­che „Suchen, Buchen, Bezah­len, Fah­ren“ bereit. Dazu gehört die Unterstützung bei der Navi­ga­ti­on von Fahr­ten und bei der Aus­wahl des rich­ti­gen Tarifs. Schon seit Jah­ren wer­den unse­re Fahr­gä­ste an elek­tro­ni­schen Anzei­ge­ta­feln, an Hal­te­stel­len und über digi­ta­le Ange­bo­te für Smart­phones, Tablets und Com­pu­ter über Ver­spä­tun­gen und Stö­run­gen in Echt­zeit infor­miert. Uns ist bewusst, dass gera­de Apps und Gerä­te wie Smart­phones die digi­ta­le Navi­ga­ti­on mit Bus und Bahn erleich­tern und Anrei­ze zur Nut­zung des ÖPNV set­zen. Ent­schei­dend ist auch der Aus­bau des elek­tro­ni­schen und mobi­len Ticke­tings. Denn das Papier­ticket wird zuneh­mend durch elek­tro­ni­sche Alter­na­ti­ven ersetzt, um eine fle­xi­ble­re Bezah­lung und Nut­zung des ÖPNV zu ermög­li­chen. Seit eini­gen Jah­ren kommt das elek­tro­ni­sche Fahr­geld­ma­nage­ment auch im saarVV zur Anwen­dung. Tarif­mo­del­le wer­den bereits in Syste­men wie dem eTicket und dem Han­dy­Ticket ein­ge­setzt. Das will das Pro­jekt „Motics“ ermög­li­chen, dass über bereits bestehen­de Apps, wie dem Saar­fahr­plan oder dem DB Navi­ga­tor, bezahl­te Tickets künftig als dyna­mi­scher QR-Code aus­ge­ge­ben wer­den, wodurch sich die Sicher­heit bei Kauf und Kon­trol­le erhöht. Das Ange­bot an eTickets kann so auf unse­re Zeit­kar­ten aus­ge­wei­tet wer­den. Zudem sol­len die Fahr­gä­ste im saarVV schon bald in Bus­sen und Bah­nen auch bar­geld­los bezah­len kön­nen. Ein lan­des­wei­tes Check-in/­Be-out-System soll mit­tel­fri­stig den Fahr­gä­sten den Zugang zu Bus und Bahn erleich­tern. Hier­bei wird per Smart­phone der Ein- und Aus­stieg erkannt, der Fahr­preis auto­ma­ti­siert berech­net und im Nach­gang per Last­schrift­ver­fah­ren vom ange­ge­be­nen Kon­to abge­bucht. Kun­den des saarVV benö­ti­gen dann kei­ne Kennt­nis­se mehr über Tari­fe oder Tickets, son­dern kön­nen Bus und Bahn spon­tan nut­zen.

Bei allen Pro­ble­men unse­rer Zeit blei­ben die The­men Infra­struk­tur und Ver­bes­se­rung des Ange­bots, ins­be­son­de­re im länd­li­chen Raum, wich­ti­ge Dis­kus­si­ons­punk­te für einen attrak­ti­ven ÖPNV – auch im Saar­land. Wie sehen Sie hier die Situa­ti­on?

Elke Schmidt: Bevölkerungsrückgang und demo­gra­fi­scher Wan­del sind seit vie­len Jah­ren die Haupt­fak­to­ren für sin­ken­de Fahr­gast­zah­len im saar­län­di­schen ÖPNV. Dies darf aller­dings nicht dazu führen, dass Ver­keh­re redu­ziert wer­den. Viel­mehr müssen Alter­na­ti­ven gefun­den wer­den, die den ÖPNV, ins­be­son­de­re in den länd­li­che­ren Regio­nen attrak­tiv machen. Durch die Auf­nah­me von Lini­en­be­darfs­ver­keh­ren als neue Ver­kehrs­form ins Per­so­nen­be­för­de­rungs­ge­setz (PBefG) wur­de ein Rechts­rah­men für die Inte­gra­ti­on fle­xi­bler Bedien­for­men in die Struk­tu­ren des ÖPNV geschaf­fen. So sol­len im Saar­land soge­nann­te On-Demand-Ver­keh­re zeit­lich und räum­lich zur Ergän­zung und Ver­dich­tung des bestehen­den ÖPNV-Ange­bo­tes bei­tra­gen. Fakt ist, dass der ÖPNV die Mobi­li­tät der Men­schen auch in länd­li­chen Regio­nen sichern muss.