„Viele Menschen wollen einen Mobilitätswandel und einen klimaschonenden Verkehr.“
Elke Schmidt, Geschäftsführerin im saarVV, geht im Interview (im August 2023) auf die aktuellen Aufgaben und Ziele für den saarVV ein. Sie zeigt dabei Problemstellungen, Lösungen und Trends auf.
Frau Schmidt, vor welchen Herausforderungen steht der ÖPNV in Zeiten von bundesweiten Ticketinitiativen, Energiepreiserhöhungen, Klimaschutzzielen, Digitalisierungsanforderungen, Finanzierungsdiskussionen und Fachkräftemangel?
Elke Schmidt:
Der ÖPNV befindet sich mitten in einer Umbruchsphase. Einerseits ist und bleibt er Grundlage für ein funktionierendes soziales und ökonomisches Miteinander. Andererseits setzt den Verkehrsunternehmen und den Aufgabenträgern die wirtschaftliche Entwicklung und die erheblichen Preissteigerungen im Bereich der Betriebs- und Personalkosten zu. Hinzu kommt die Anforderung, dass Bus und Bahn anspruchsvollen Klimaschutzzielen gerecht werden.
Um in dieser Situation als Treiber der Verkehrswende zu fungieren und mehr Menschen für eine umweltfreundliche Mobilität zu gewinnen, benötigt der ÖPNV eine dauerhafte Finanzierungssicherheit. Das 9‑Euro-Ticket oder das Deutschland-Ticket sind hilfreiche Initiativen, um mehr Fahrgäste für Bus und Bahn zu gewinnen, ändern allerdings nichts an den grundsätzlichen finanziellen Herausforderungen, mit denen sich der ÖPNV auseinandersetzen muss.
Eine umfassende Finanzierungsregelung ist notwendig, um den ÖPNV weiter auszubauen, den Bestand des Angebots an attraktiven Tickets und Tarifen zu sichern, den Kundenservice unter Beachtung der Aspekte der Digitalisierung zu verbessern, die Antriebswende insbesondere im Busbetrieb voranzutreiben und dabei der erfolgreichen Platzierung des Deutschland-Tickets im Markt gerecht zu werden.
Welche Unterstützung benötigt der ÖPNV, um die geforderte und notwendige Alternative zum Individualverkehr zu sein?
Elke Schmidt:
Wir wollen, dass mehr Menschen im Alltag Bus und Bahn nutzen. Dafür brauchen wir einen attraktiven ÖPNV und eine Steigerung der Betriebsleistung. Das kostet Geld. Ohne eine Finanzierung durch öffentliche Mittel würde sich das Angebot des ÖPNV minimieren, wodurch die Verkehrswende und damit die Klimaschutzziele gefährdet wären. Wenn der ÖPNV seinen wichtigen Beitrag zur umweltfreundlichen Mobilität leisten soll, dann benötigt er die notwendige finanzielle Unterstützung.
Natürlich sind die Ticketeinnahmen weiterhin eine wesentliche Finanzierungssäule der Branche. Es ist und bleibt höchstes Ziel, Neukunden für Bus und Bahn zu gewinnen und Bestandskunden langfristig zu binden. In den letzten Jahren zeichnete sich aber immer mehr ab, dass die Einnahmen alleine nicht ausreichen, um den ständig steigenden Aufwand der Verkehrsunternehmen zu decken. Dabei handelt es sich vor allem um Kostensteigerungen bei Energie und Personal.
Aber auch für die Realisierung einer zeitgemäßen digitalen Fahrgastinformation, einer modernen und barrierefreien Infrastruktur und einer Umstellung auf Fahrzeuge mit emissionsarmen Antriebstechnologien müssen zusätzliche Gelder aufgewendet werden. Neben dem vollständigen Ausgleich für die Einnahmeverluste durch das 9‑Euro-Ticket und das Deutschland-Ticket sind daher die Erhöhung der Regionalisierungsmittel und ein Ausgleich für die drastisch gestiegenen Energie- und Personalkosten notwendig, um die Wirtschaftlichkeit der Verkehrsunternehmen nicht nachhaltig zu gefährden.
Dem ÖPNV wird eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Klimaziele zugesprochen. Kann er diesem Anspruch gerecht werden?
Elke Schmidt:
Das Potential des ÖPNV für eine klimafreundlichere Mobilität ist hoch. Gerade in den letzten Jahren gewinnt der Megatrend Nachhaltigkeit in der Bevölkerung eine immer größere Bedeutung. Hinzu kommt, dass steigende Preise für Lebenshaltung, Energie und Kraftstoffe insbesondere Berufstätige dazu bewegen, auf das eigene Auto zu verzichten und auf Bus und Bahn umzusteigen. Die hohen Verkaufszahlen beim 9‑Euro-Ticket haben gezeigt, dass diese Bereitschaft bei den Bürgerinnen und Bürgern grundlegend vorhanden ist, wenn Preis und Komfort stimmen. Das Vorantreiben des Umweltaspekts innerhalb der Mobilitätswende lässt sich demnach nur durch zusätzliche Investitionen in Fahrzeuge, Angebot und Infrastruktur umsetzen.
Unabhängige Umfragen zeigen, dass viele Menschen den Mobilitätswandel und einen klimaschonenden Verkehr wollen. Es braucht aber alltagstaugliche Lösungen, die zu individuell und regional verschiedenen Anforderungen passen. Die Verkehrsunternehmen im saarVV nehmen diese Herausforderung an. Die gewünschte Erhöhung der Lebensqualität ist nur durch eine Verringerung des motorisierten Individualverkehrs möglich.
Warum sollten Bürgerinnen und Bürger jetzt auf den ÖPNV wechseln?
Elke Schmidt:
Die Voraussetzungen für einen Umstieg auf Busse und Bahnen sind zurzeit besser denn je. Dank des Deutschland-Tickets wird der ÖPNV für neue Kundinnen und Kunden und für Abonnement-Besitzerinnen und ‑Besitzer äußerst günstig. Allerdings braucht der ÖPNV mehr als preiswerte Tickets, um die Fahrgäste langfristig an den ÖPNV zu binden.
Sie sprechen damit die Verbesserung von Infrastruktur und Angebot, insbesondere im ländlichen Raum, als Kernelemente für ein Erfolgsmodell ÖPNV an?
Elke Schmidt:
das Angebot an Bus- und Bahnverkehren in den ländlichen Regionen spielt sicherlich eine wesentliche Rolle. Das Image des Autolandes Saarland kann nur verändert werden, wenn der ÖPNV hier attraktiver wird. Hinzu kommt der demografische Wandel im Saarland, der uns noch länger beschäftigen wird. Der Bevölkerungsrückgang hat in den letzten Jahren zu sinkenden Fahrgastzahlen im saarländischen ÖPNV geführt.
Trotzdem gilt: Mit einem optimierten Angebot, steigen mehr Menschen in Bus und Bahn ein. Dafür sind aktuell mehrere Schritte umzusetzen. Die Infrastruktur muss verbessert werden. Dazu gehört – wie schon thematisiert – ein dichteres Fahrplanangebot insbesondere in ländlichen Regionen. Hinzu kommt die Realisierung von neuen Direktverbindungen – wie beim saarVV mit dem PlusBus und ExpressBus umgesetzt –, die Stärkung der Zuverlässigkeit in Form von Pünktlichkeit und Anschlusssicherung sowie die Fokussierung auf eine Bevorzugung des ÖPNV im Straßenverkehr, um die Reisezeiten zu verringern.
Die Digitalisierung im ÖPNV gilt es, kundenorientiert voranzutreiben, auch um den Erwerb von Tickets und den Zugang zu Bus und Bahn zu vereinfachen, die Information von Fahrgästen über mobile Endgeräte zu verbessern und die Echtzeit-Informationssysteme an den Haltestellen und Stationen weiter zu optimieren. Dem Fachkräftemangel bei den Verkehrsunternehmen muss entgegengewirkt werden. Und schließlich sollte das Deutschland-Ticket genutzt werden, um neue Fahrgäste für den ÖPNV zu gewinnen und verlorene Kundinnen und Kunden zurückzugewinnen – einfach und günstig.
Ist das Deutschland-Ticket demnach eine Chance für den ÖPNV?
Elke Schmidt:
Natürlich. Das Deutschland-Ticket ist nach dem 9‑Euro-Ticket eine weitere positiv zu bewertende Maßnahme zur Gewinnung und Rückgewinnung von Fahrgästen in der Post-Corona-Zeit. Erste Absatzzahlen des Deutschland-Tickets im saarVV stimmen uns positiv, dass es die Hoffnungen erfüllt, die an dieses leicht zugängliche, erschwingliche und komfortable Ticket geknüpft sind. Dazu trägt neben dem Preis auch bei, dass es unproblematisch digital erwerbbar ist – als Chipkarte und Handyticket. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VDV geht bundesweit von über 5 Millionen Neukundinnen und Neukunden für den ÖPNV aus. Diese Einschätzung basiert auch auf einer Umfrage des VDV mit dem Ergebnis, dass eine Zweidrittelmehrheit das Deutschland-Ticket positiv bewertet.
Interessant ist sicherlich auch zu beobachten, wie die zielgruppenspezifischen Varianten Junge-Leute-Ticket und Job-Ticket sowie die Möglichkeit des Upgrades auf das Deutschland-Ticket für Studierende im Saarland ankommen werden. Das Junge-Leute-Ticket gibt es ja nur im saarVV. Es war nur realisierbar, da die saarländische Landesregierung die Differenz zwischen dem Preis für das vergünstigte Junge-Leute-Ticket und dem Deutschland-Ticket finanziert.
Studierende mit einem SemesterTicket auf Basis eines Vertrags zwischen den Verkehrsunternehmen im saarVV und den teilnehmenden Universitäten bzw. Fachhochschulen erhalten die Möglichkeit, das Deutschland-Ticket im Rahmen eines Aufstockungsmodells zu erwerben. Sie zahlen dafür zusätzlich monatlich die Differenz zwischen SemesterTicket und Deutschland-Ticket.
Das Job-Ticket auf Basis des Deutschland-Tickets könnte diesem zuvor schon erfolgreichen Tarifmodell noch mal einen Schub geben. Es hat gerade auch für kleinere und mittlere Unternehmen an Attraktivität gewonnen. Zudem stellt es für Firmen eine Unterstützung ihrer Recruiting-Maßnahmen in Zeiten des Fachkräftemangels dar. Die Beschäftigten verlangen immer häufiger Unterstützung bei klimafreundlichen Mobilitätsangeboten. Das Job-Ticket setzt hier einen starken Impuls.
Es ist aber auch zu erwähnen, dass das Deutschland-Ticket die Verkehrsunternehmen und den saarVV selbst vor große organisatorische Aufgaben stellt sowie massive Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen erfordert. Auch die Digitalisierungsvorgaben für das Deutschland-Ticket als eTicket mussten im Eiltempo umgesetzt werden. Mit der Einführung des Deutschland-Tickets geht zudem eine einschneidende Tarif- und Vertriebstransformation einher. Das Deutschland- Ticket wird also vieles im ÖPNV verändern.
Einerseits profitieren die Fahrgäste des ÖPNV von einem preiswerten Deutschland-Ticket und seinen Varianten, andererseits musste der saarVV die Preise für Tickets und Abos erhöhen. Ist das kein Widerspruch?
Elke Schmidt:
Nein, nicht unbedingt. Die stark gestiegenen Kosten für Strom, Kraftstoffe und Personal müssen in die Tarifgestaltung mit einfließen. Zum 1. Februar 2023 kam es daher im Bereich der Einzelfahrscheine, der Wochen- und Monatskarten, der Preisstufen-Abos und dem 9‑Uhr-Abo zu einer moderaten Tarifanpassung. Die Preiserhöhung lag deutlich unter der aktuellen Inflation. Hier ist auch zu beachten, dass zuvor die Ticketpreise im saarVV über drei Jahre lang nicht erhöht wurden. Als Teil der 2021 umgesetzten Tarifreform wurden die Ticketpreise im Saarland eingefroren. Kostensteigerungen, die sich seitdem bei den Verkehrsunternehmen ergeben haben, wurden nicht an die Kundinnen und Kunden weitergegeben. Ermöglicht wurde dies durch Ausgleichszahlungen des Landes.
Das galt auch für die Übergangszeit bis zum Deutschland-Ticket. Nach Abstimmung mit dem Land blieben die Preise für die landesweit gültigen Abos zunächst unangetastet, um zu vermeiden, dass Tarife für wenige Monate zuerst erhöht und mit der Einführung des Deutschland-Tickets wieder gesenkt werden. Die daraus entstandenen Mindereinnahmen glich das Land bis zur Einführung des Deutschland-Tickets den Verkehrsunternehmen aus. Die Digitalisierung ist ein wichtiger Faktor zur Sicherung der Stellung des ÖPNV.
Die Digitalisierung ist ein wichtiger Faktor zur Sicherung der Stellung des ÖPNV. Welche digitalen Maßnahmen setzt der saarVV jetzt und in Zukunft um?
Elke Schmidt:
Unser Ziel ist die bestmögliche Nutzung der Chancen, welche die Digitalisierung für den ÖPNV bietet, um Produkte und Services nachhaltig zu entwickeln. Im Bereich der Echtzeitinformation investieren die Verkehrsunternehmen im saarVV in die Modernisierung ihrer Auskunftssysteme an Haltstellen und Bahnsteigen. Zudem wird die Qualität der hinterlegten Daten verbessert, sodass sie so aktuell wie möglich sind und Verspätungen, Fahrtausfälle oder andere Informationen direkt bei den Fahrgästen ankommen. Die Verbindung zu den mobilen Endgeräten der Kundinnen und Kunden soll optimiert werden. Apps und mobile Endgeräte erleichtern die digitale Navigation mit Bus und Bahn und bieten Anreize zur Nutzung des ÖPNVs.
Der Ausbau des elektronischen und mobilen Ticketings ist entscheidend, um eine flexiblere Bezahlung und Nutzung des ÖPNV zu ermöglichen. Tarifmodelle werden bereits in Systemen wie dem elektronischen Ticketing eingesetzt. Zurzeit sind mehrere digitale Projekte in der Umsetzung, die den Ticketkauf und den Einstieg in Bus und Bahn vereinfachen. Das Ausgeben von Abonnements als HandyTicket funktioniert ja schon beim Deutschland-Ticket.
Diese Möglichkeit wird in Zukunft auf andere Abo-Angebote erweitert. Bargeldlosen Bezahlsysteme optimieren das Vertriebsangebot und die Servicequalität. Ihre flächendeckende Einführung bedeutet aber die Umrüstung von Bezahlsystemen wie Fahrzeugrechner, Ticketautomaten und Apps. Hinzu kommen fälschungssichere Barcodes als Ticketoptionen und Check-In-/Check-Out-Systeme, die den Zugang zu Bus und Bahn und die Abrechnung der Fahrt vereinfachen.
Der Fachkräftemangel stellt für die Verkehrsunternehmen im saarVV ein zunehmendes Problem dar. Wie bewerten Sie die Situation des branchenspezifischen Arbeitsmarktes?
Elke Schmidt:
Wenn immer mehr Unternehmen immer öfter vor der Situation stehen, aus personellen Gründen den Fahrbetrieb zeitweilig einzuschränken, stellt das tatsächlich ein Problem dar. Einerseits soll das Fahrangebot ausgeweitet werden, um den ÖPNV attraktiver zu machen. Andererseits sorgt das Szenario eines Personalmangels dafür, dass Fahrpläne ausgedünnt und Linien gestrichen werden. Das passt nicht zusammen.
Sicher ist: Die Baby-Boomer-Generation geht bald in den Ruhestand und hinterlässt eine riesige Personallücke. Um diese Kluft zu schließen, fokussieren sich viele Verkehrsunternehmen verstärkt auf Recruiting-Programme, um Fachkräfte zu gewinnen oder künftige Fachkräfte auszubilden. Die Branche setzt dabei auch auf politische Unterstützung, um den Jobeinstieg flexibler zu machen und die Ausbildung zu modernisieren.